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Der Erfolg muss zuhause bleiben

Wie Kreative maßgeblich zum Erfolg der Regionen beitragen

Um es vorwegzunehmen: Was ein wenig nach Salbung der eigenen Leistungen klingen mag, ist wirklich ganz anders gemeint. Es geht nämlich überhaupt nicht um Designer, Design und Werbung. Zumindest wenn wir uns an Richard Florida halten.

Der US-Amerikaner hat 2004 mit dem Buch „The Rise of the Creative Class“ eine Menge medialen Staub aufgewirbelt und verschiedene Thesen aufgestellt, die ein neues Licht auf den Faktor „Kreativität“ und deren Hauptakteure werfen.

Der Bestsellerautor Florida ist ein hierzulande gern gesehener Gast. So war er Keynote-Sprecher beim 13. Trendtag, veranstaltet vom Hamburger „Trendbüro“ des bekannten Zukunftsforschers Matthias Horx.

Internationale Bekanntheit erlangte der US-Amerikaner mit frischen Ansätzen zum Thema Standortmarketing in einer globalisierten Welt. Im Schwerpunkt beschäftigt er sich hier mit der so genannten „Kreativen Klasse“, die er neu definiert und ihre Bedeutung für das Gemeinwesen herausstellt. Hierzu im Verlauf mehr.

Auch sein Buch „Who’s your City?“ trifft den Zeitgeist: Während Bedenken- und Würdenträger konservativen Zuschnitts den Verlust von realen Lebensräumen in einer digitalen Welt beklagen und mit schöner Regelmäßigkeit die globalisierte Welt für den Identitätsverlust von Regionen verantwortlich machen, blickt der US-Amerikaner in die entgegengesetzte Richtung. „Orte waren noch nie so wichtig wie heute. Sie sind maßgebend für unser individuelles Leben. Wo ich lebe, wird wohl eine meiner wichtigsten Entscheidungen überhaupt sein. Städte und Landschaften prägen (…) die Wahl meines Lebenspartners oder meine Entscheidungen für den Beruf. Orte beeinflussen unsere sozialen und beruflichen Möglichkeiten enorm, sie bestimmen unsere Chancen, ein glückliches und erfülltes Leben zu führen.“ (-> Trendbüro, Interview Richard Florida, 08. Mai 2008)

Nun aber zum Bestseller „The Rise of the Creative Class“.

Kreativ mal zwei

Florida nimmt eine Neubestimmung vor. Die „Kreative Klasse“ umfasst seiner Meinung nach als erste Gruppe nicht nur die uns bekannten Kreativen wie bildende Künstler, Designer, Architekten, Kulturtreibende in Theater und Film oder Fernsehen sowie Schriftsteller und Journalisten. Für ihn sind dies die „Super Creatives“. Er erweitert diese illustre Elite aber noch um Wissenschaftler, Forscher und Ingenieure. Das ist interessant und, wie ich finde, nicht von der Hand zu weisen.

Wer mag schon darüber urteilen, ob ein innovatives Produkt nicht im Wesentlichen das Ergebnis eines schöpferischen Prozesses der Entwicklungsabteilung eines Unternehmens ist? Ist ein extrem widerstandsfähiger Autolack das Ergebnis eines kreativen Prozesses? Sicher ist er das. Er ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen Arbeit, die verschiedene Wege zum Ziel erkundet hat. Manchmal ist er sogar das Resultat eines glücklichen Zusammenspiels aus zielgerichteter Suche und zufällig erzielten Resultaten.

Soweit ich dies für mich sagen darf: Ich gehe im Rahmen meiner Entwicklungsarbeit für Kundenprojekte nicht anders vor.

Darüber hinaus definiert Richard Florida aber eine zweite Gruppe: Die „Creative Professionals“ – Menschen, die in wissensbasierten Berufen arbeiten, z.B. im Finanz-, Gesundheits- oder Bildungswesen.

Es gäbe nun genug Berufsgruppen, die nicht in dieses relativ grobe Raster passen – wie z.B. Schneider, Friseure oder Möbeltischler. Warum er diese durchaus kreativen, dem Handwerk entsprungenen Berufsgruppen unerwähnt lässt? Die Frage bleibt im Raum.

Zum anderen birgt diese doch recht weit gefasste Definition der „Kreativen“ aller Art die Gefahr der Beliebigkeit. Denn kreativ sind wir ja alle, oder? Dies zeigt sich nicht zuletzt in der täglich geforderten Fähigkeit zur Improvisation (zu diesem Thema hat die „BrandEins“ gerade viel Schönes geschrieben). Positiv bleibt jedoch unter dem Strich, dass diese neue Sicht der Dinge ein ganz anderes Vorgehen erfordert, wenn man die kreative Klasse an einen Standort oder eine Region binden will.

In seinem international sehr erfolgreichen Buch „The Rise of the Creative Class“ stellt Florida nun die These auf, dass diese beiden Gruppen ein wesentlicher Grund für den Erfolg eines Standorts sind.

Hierfür macht er drei Faktoren geltend: Talent, Technologie und Toleranz. Eine Kombination, die zunächst stutzig macht. Um dann einen Sinn zu ergeben.

Nummer eins: Talent. Jeder von uns hat eines, doch manche Mitmenschen sind geradezu gesegnet mit herausragenden Talenten. Diese Toptalente sind von hoher wirtschaftlicher Bedeutung und entsprechend umworben. Sie an einen Standort zu binden und dort zu halten ist eine der großen Herausforderungen des Standortmarketings – sowohl auf Unternehmensseite wie auch seitens des Standorts selbst.

Faktor zwei: Technologie. Nahe liegend. Nur wer über überzeugende technische Lösungen verfügt und diese entwickeln kann, bleibt zukunftsfähig. Wettbewerbsvorteile sind erstklassige Hochschulen und angeschlossene Forschungseinrichtungen.

Zu guter Letzt: Toleranz. Lauschen wir dem Autor selbst. „Kreativ Arbeitende brauchen Orte, Organisationen und Individuen, die offen sind für neue Ideen und andere Menschen. Städte, die empfänglich sind für alternative Lebensstile, Immigration und abweichende Ansichten über sozialen Status und Machtstrukturen, genießen im kreativen Zeitalter einen immensen Wettbewerbsvorteil.“

Der Standort als Open Space? Offenheit und Toleranz, Diskurs allerorten, lebendiger Austausch und Miteinander. Beim Imbiss nicht nur Döner, sondern auch Sigar Börek, Chai und Tischgespräch?

Davon sind wir sicher noch weit entfernt. Andererseits hat die überwiegende Mehrheit Münsters die internationale, offene Atmosphäre während der Skulpturprojekte 2007 genossen.

Es war wie eine Vision, wie es sein könnte in unserer geschichtsträchtigen Stadt. Nebenbei – es war das Werk vieler kreativer Köpfe, die dieses Projekt von internationalem Rang möglich gemacht haben.

Kreative in die Docks

Zurück zu Florida. Und zu einem neuen Begriff, den „Creative Industries“. Übersetzen lässt er sich vielleicht mit dem deutschen Wort „Kreativwirtschaft“, das ich aber nicht sehr mag, weil es sich industriell anhört.

Der erste Versuch einer Definition, was die „Creative Industries“ im engeren Sinne seien, nahm übrigens 1998 die britische Labour-Regierung unter Tony Blair vor. Kreative Industrien seien alle diejenigen Wirtschaftszweige, die ihren Ursprung in individueller Kreativität haben und die mittels ihres Schaffens und durch die Verwertung geistigen Eigentums geeignet sind, Arbeitsplätze zu schaffen und Wohlstand zu sichern, so die Briten.

Folgerichtig wurden unter Blair Maßnahmen getroffen, um die „Creative Industries“ zu fördern und ihre Ansiedlung zu begünstigen. Ehemalige Industrieareale wurden saniert und zu großflächigen Inkubatoren für Kreative aller Art umfunktioniert.

Doch was macht eine Stadt darüber hinaus attraktiv für Kreative? Nach Florida ist es eine hohe Diversität in der Bevölkerungsstruktur. Diese hat seiner Meinung nach eine hohe Innovationskraft zur Folge. Dazu bedarf es keiner Green Card mehr, ein Gang zum Einwohnermeldeamt sollte genügen.

Sicher ist richtig, dass das Mischen von kulturellen Unterschieden immer interessantes Neues fördert – aber schafft es wirklich Arbeitsplätze? Diese Frage wird auch in Großbritannien kritisch beantwortet. In aller Regel blieb hier ein positiver Schub aus. Kreative Cluster sind aus sich heraus eben nicht lebensfähig. Pläne, Kreative auf der grünen Wiese anzusiedeln, bleiben erfolglos.

Die kreativen Industrien haben, wenn sie geballt auftreten, meist die dumme Angewohnheit, sich in ihrem Inkubator-Viertel zu einem abgeschlossenen Cluster zu formen. Mag sein, dass dies damit zu tun hat, dass kreative Ballungsareale sich durch die Produktion immaterieller Güter auszeichnen, die zudem durch intensive Netzwerknutzung und interne Kommunikation vorangetrieben werden. Ungeregelte Arbeitszeiten, die sich mitunter in den Privatbereich verlagern, sorgen für eine Abschottung nach außen. Die Kreativen bleiben unter sich und mischen sich zunehmend seltener unters Volk. Nichtsdestotrotz wird der wirtschaftliche Erfolg gerne zur Schau gestellt. Wer hart arbeitet, genießt den Glanz des Geldes.

Die Folge: Sozioökonomische Unterschiede zu benachbarten Stadtarealen können, je nach Größe des Clusters, überdeutlich sichtbar werden und in der unmittelbaren Nähe zu gewachsenen Stadtarealen zu städtepolitischem Sprengstoff werden. So weit wird es in Münster aber glücklicherweise nicht kommen – der Kreativkai z.B. ist kein Ghetto, dafür sorgen seine Größe und die gute Durchmischung mit Clubs, Kneipen und Restaurants. Auch das insgesamt hohe Niveau der kommunalen Wirtschaft und es Wohnungsbaus wirkt ausgleichend.

Die These des US-Amerikaners, dass gute Rahmenbedingungen für Homosexuelle ein Erfolgsfaktor für wirtschaftlichen Erfolg seien, ist sicherlich speziell. Letztlich sind diese „guten Rahmenbedingungen“ aber immer auf einen offene und tolerante Stadtgesellschaft zurückzuführen. Und eben diese ist sicherlich sehr förderlich wenn es um interagierende und kreative Akteure geht. Wo kein festes Lebensbild besteht und viele Möglichkeiten gelebt werden dürfen, fallen Ideen auf fruchtbaren Boden.

Stichwort Balance

Was ist also dran an Floridas Ideen? Nicht einfach zu beantworten, denn der Autor liefert seinen Kritikern eine Reihe Steilvorlagen.

Viele Thesen haben meiner Meinung nach jedoch Substanz. So ist die Erweiterung der kreativen Klasse um innovativ tätige Angestellte, wie Wissenschaftler, Forscher und Ingenieure, eine meiner Meinung nach sehr gute und überfällige Neudefinition. Auch die unter dem Schlagwort „Toleranz“ versammelten Standortfaktoren halte ich für stichhaltig. Kreative aller Fachrichtungen brauchen Inspiration, eine lebendige, abwechslungsreiche, aber stabile Atmosphäre. Die Durchmischung von Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen und sozialen Prägungen schafft durch das in den kreativen Clustern betriebene Networking fruchtbaren Boden für neue Ideen und somit Innovation.

Abschließend sei jedoch daran erinnert, dass der Tod der Kreativität ihre Industrialisierung ist. In dem Maße, in dem den „Creative Industries“ das Wort gesprochen wird, nimmt die Bedeutung von kreativer Subkultur ab. Kommen aber nicht genau aus dieser Richtung immer wieder neue Ideen, Trends und Moden? Lässt sich die Kreativindustrie bei ihren sporadischen Besuchen in unsanierten Industrievierteln nicht von den dort ansässigen Kreativen inspirieren? Natürlich tut sie das. Schamlos und ohne mit der Wimper zu zucken.

Vergessen wir also nicht, dass in den klassischen Kreativvierteln mit ihren nicht minder individuellen Namen zwar innovativ gearbeitet wir. Die Ideen von übermorgen entstehen jedoch an anderen Orten. An Orten, die weniger im Zentrum des medialen und gesellschaftlichen Interesses stehen – auch in Münster.